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Lust mit Liebe

 

Psychodrama

 

 

 

 

 

1.Sitzung

 

Master: Sehr geehrte Damen und Herren! Guten Abend! Unsere heutige Sitzung ist eröffnet. Wie Sie wissen, helfen wir mit den Mitteln des Psychodramas, anscheinend unentwirrbare persönliche Probleme einer Klärung zuzuführen. Was einen gewissen Schauwert hat. Talk-Shows machen uns Konkurrenz, auch diese sogenannten Reality-Soaps. Aber originär sind allein wir! Nur wir! Urteilen Sie selbst! (sucht im Publikum) Ah! Doktor Manz, da sind Sie ja! (wieder in die Runde) Herr Dr. Manz hat mich wissen lassen, dass er ein Problem am Hals hat. Er hofft, es mit unserer Hilfe zu lösen. Bitte, Herr Doktor, kommen Sie zu mir herauf und nehmen Sie Platz (bedeutet Frank, auf die Bühne zu kommen und sich neben ihm auf einen Stuhl zu setzen) Unser höchst effektives Mittel ist die Bühne. Und Ehrlichkeit! Absolute Ehrlichkeit. Wenigstens einmal, nämlich hier auf der Bühne, sich nichts, wirklich nichts vormachen! Das ist sehr schwer, keine Frage, aber wir müssen es versuchen! (zu Frank) Bitte, nehmen Sie Platz! (Frank nimmt Platz) So, junger Mann. Was brennt Ihnen auf der Seele?

Frank: Meine Ehe!

Master: Die Ehe, diese überholte soziale Institution.

Frank: Langsam habe ich das Gefühl, dass da wirklich etwas vorbei ist. Ich meine, nicht nur meine Ehe, sondern diese ganze Konstruktion des Zusammenlebens von einem Mann und einer Frau. Wozu?

Master: Erzählen Sie!

Frank: Erzählen? Hm! Eigentlich eine ganz normale Geschichte! Passiert jeden Tag überall. Langweilig im Grunde!

Master: Ehrlich, Frank, ehrlich!

Frank: Also, Anna und ich, wir waren glücklich verheiratet. Wenn man das so nennen kann. Wir hatten auf ein Ziel hingearbeitet, und alles klappte irgendwie. Beruf. Die Liebe, ich meine Sex. Ja, wirklich. Aber dann. Während meiner Aspirantur in Leipzig ist mir eine Studentin begegnet, in die ich mich verliebte. Es geschah einfach. Ich bin nicht wieder von ihr losgekommen. Jetzt hat sie ihr Diplom und will nach Berlin. Was soll ich tun?

Master: Weiß Ihre Frau von dieser Studentin?

Frank: Sie hat Verständnis. Glaub ich.

Master: Ist sie anwesend?

Frank: Ja. (deutet auf seine Frau in der ersten Reihe.)

Master: Guten Tag, Frau Manz! Schön, dass Sie gekommen sind. (zu Frank) Sie sagten, Ihre Frau habe Verständnis. Ich vermute sogar, nach dem, was ich weiß, dass sie Ihnen helfen möchte. Liege ich richtig, Frau Manz?

Anna (zögernd): Ja, schon.

Master: Dann schlage ich vor, dass wir zur Sache kommen. Und zwar, indem Sie beide uns eine Situation aus Ihrem Leben darstellen. Verstehen Sie? Und zwar, am besten nehmen Sie die Szene, in der Ihr Problem zum letzten Mal zur Sprache kam. Bitte, Frau Manz, kommen Sie zu uns auf die Bühne. (zum Publikum) Im Leben reden die Leute oft auf die eine Art und handeln in der entgegengesetzten. (Anna kommt auf die Bühne.) Bitte, nehmen Sie Platz. (Anna setzt sich) Diese beiden Menschen (ins Publikum) weichen ihrem Problem nicht aus. Das ist hoch anzuerkennen. Heutzutage, entschuldigen Sie das offene Wort, stürmen die Ehepaare in Swinger-Clubs und denken, sie können damit ihre Ehe kitten. Sie befriedigen ihre Lust tierisch, lecken sich gegenseitig Mösen und Schwänze und rammeln anschließend die abendländische Kultur in die Matratze. Arme Kreaturen! Na bitte! (zu Anna und Frank) Versuchen Sie jetzt, ihre Lage zu rekonstruieren. Am besten, Sie unterhalten sich wie gewöhnlich miteinander, aber benutzen Sie auch, sagen wir, Seitenbemerkungen, sprechen Sie aus, was Sie sonst nur denken. Verstehen Sie? Gedanken, die sonst verborgen bleiben. Dadurch wird es uns besser möglich sein, Ihre Motive zu verstehen. Überlegen Sie, und dann los!

Frank (zu Anna) Ja, vielleicht, hm, die Szene neulich, bevor ich wegfuhr?

Master: Erinnern Sie sich genau! War es zum Beispiel nachmittags?

Frank: Ja, ungefähr fünf Uhr.

Master: Haben Sie so gesessen? Frau Manz, noch nicht einverstanden?

Anna: Na ja. Wenn Sie meinen.

Master: Erinnern Sie sich, was in etwa Sie gesagt haben, und fangen Sie einfach an. (nimmt im Hintergrund Platz)

Frank (nach kurzer Pause) An was denkst du?

Anna: Weißt du, was für ein Tag heute ist?

Frank: Natürlich! Unser Hochzeits-Tag.

Anna: Der elfte!

Frank: Scheiße!

Anna: Na wunderbar!

Frank: (zum Master): Ich kann das nicht! Bin doch kein Schauspieler.

Master: Bitte! Ganz ruhig! (zum Publikum) Das müssen Sie bitte verstehen. Die beiden sind natürlich aufgeregt vor so viel Leuten. Entschuldigen Sie den Vergleich: Sich im Swinger-Club nackt auszuziehen und von einer wildfremden Frau, die sich inzwischen von hinten bevögeln lässt, den Penis massieren zu lassen, ist heutzutage weniger schwierig, als in aller Öffentlichkeit seine Seele auf den Tisch zu legen. (wieder zu Frank) Also, junger Mann. Es ist Ihr Wunsch! Endlich ein Schritt in die richtige Richtung.

Frank: Ich hätte nie gedacht, dass das so kommen könnte. (fast vorwurfsvoll zu Anna) Macht es dir nichts aus, über das Debakel zu sprechen?

Anna: Nicht mehr.

Frank: Was haben wir falsch gemacht? Was habe ich falsch gemacht?

Anna: Woher kommt der Hass?

Frank: Hass, Hass!

Anna: Warum können wir uns nicht verständigen?

Frank: Wahrscheinlich liegt's an mir.

Anna: Ich glaube auch. Dabei kannst Du viel leichter einen Entschluss fassen als ich. Du bist ausgeglichener, kannst allein stehen. Ich brauche immer irgendwie Sicherheit von einem anderen Menschen, selbst wenn ich ein bestimmtes Ziel im Auge habe.

Frank: Stimmt ja nicht. Bis wir nach Berlin kamen, warst du die Unabhängige, nicht ich.

Anna: Nein! Ich versuchte einfach, nicht abhängig zu sein. Aber in letzter Zeit ist es immer schwieriger geworden. Die reine Hölle für mich, zu Hause zu sein, wenn du nicht da warst. Wenn du nicht kommst, obwohl die Zeit gewesen wäre. Wie oft habe ich gesessen und gewartet! Die reine Hölle!

Frank: Dann hast du das aber sehr gut verdeckt.

Anna: Abwehr! Alles Abwehr! Das hat mich aufrecht gehalten.

Frank: Du weißt, ich habe dich gern.

Anna: Weiß ich es wirklich? Alles sehr hart für mich.

Frank: Für mich auch.

Anna: Und warum nimmst du mich nicht mit dieses Wochenende?

Frank: Sie würde sich vollkommen verschließen und kein Wort reden.

Anna: Na und? Wäre das unser Problem?

Frank: Ich habe Sie auch gern. Ich kann auf keine von Euch verzichten.

Anna: Und wenn wir ein Kind hätten?

Frank: Komm nicht damit! Ich bin froh, dass wir keines haben. Würde alles nur noch komplizierter machen. Gott, ich bin nicht sehr rücksichtsvoll, fürcht' ich.

Anna: Hält sie dich auch für rücksichtslos?

Frank: Glaub schon.

Anna: Und wieso sie?

Frank: Weil ich ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenke.

Anna: Versteh ich nicht. Du lümmelst doch dauernd bei ihr herum, wenn du in Leipzig bist.

Frank: Übertreib nicht! Vielleicht neulich mal. Eigentlich war alles rein platonisch. Kindisch im Grunde. Sie hatte gehofft, dass ich etwas sagen werde. Aber ich war feig, habe mich gedrückt. Als sie erfuhr, dass ich von Leipzig weggehe, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.

Anna: Und wie lange ging das so "platonisch"?

Frank: Mein Interesse, mein zaghaftes Interesse begann vor  -  so ungefähr  -  anderthalb Jahren.

Anna: Anderthalb Jahre!

Frank: Ich weiß nicht, wie das möglich war. Aber meine Gefühle für sie sind einfach immer intensiver geworden. Das kam regelrecht über mich. Ich kenne mich da nicht aus. Und zu gleicher Zeit haben sich meine Gefühle dir gegenüber geändert. Das ist einfach so gekommen! Weiß der Teufel, wie das zugeht! Nicht unbedingt abgekühlt, nein, aber eben geändert. Irgendwie!

Anna: Wir haben so viel miteinander erlebt. Ich hatte gehofft, dass so etwas, wenn es passiert, uns nicht auseinanderbringen würde.

Frank: Ich wollte es nicht, wirklich nicht, aber rein innerlich  -  komisch das Wort, eher vielleicht unbewusst, ungewollt  -  ja, ungewollt fragte ich mich heimlich innerlich immer öfter, ob es sinnvoll ist zusammenzubleiben.

Anna: Und ich habe mir Sorgen um dich gemacht.

Frank: Gut, die drei Tage jetzt werden es zeigen.

Anna: Ich darf mir das nicht vorstellen. Mein Mann mit einer anderen Frau ganz selbstverständlich in einem Hotel, und ich...

Master: Dankeschön! Bis hierher erst einmal. Sie sind elf Jahre verheiratet und haben kein Kind. Was bedeutet das? Liebe bedarf nicht der Ehe. Oder wie denken Sie darüber? Ist nicht der Zweck verheiratet zu sein, ein Kind zu haben? Der Tatsache, dass Sie keines haben, liegen offenbar tiefe innere, sagen wir, Verwicklungen zugrunde. Vermutlich ähnlich gelagert, ich meine, mangelnde Entscheidungskraft. (zum Publikum) Es ist immer wieder verblüffend, meine Damen und Herren, wie wenig sich die Menschen bewusst sind, dass sie Tag für Tag Entscheidungen fällen müssen. Und dabei ist die, ob man morgens zum Frühstück Tee oder Kaffee trinkt, noch die harmloseste. Also zu Ihnen: Ein Kind kann die Ursache einer neuen Krise werden, aber, das ist die andere Möglichkeit, eine Ehe auch fester binden. Haben Sie sich ein Kind gewünscht, Anna?

Anna: Anfangs nicht, aber... neuerdings ja.

Master: In der Hoffnung, dass ein Baby Ihnen helfen könnte, Frank zu halten?

Anna: Ja, ja, auch, zum Teil.

Master: Vielleicht besteht eine Beziehung zwischen Franks Leben zu Hause, bevor er verheiratet war, und seinem Widerstreben, ein Baby zu haben. (zu Frank) Wie war Ihre Situation?

Frank: Gott, was soll ich da sagen?

Master: Haben Sie Geschwister?

Frank: Drei Schwestern.

Master: Drei?

Frank: Drei.

Master: Älter?

Frank: Alle jünger.

Master: Wie ist Ihr Verhältnis zu ihnen?

Frank: Nicht besonders gut.

Master: Inwiefern?

Frank: Ich habe, glaube ich, ernsthaftere Ziele im Leben als sie.

Master: Sind Sie viel älter?

Frank: Zwischen mir und der ältesten liegen drei Jahre.

Master: Fühlen Ihre Schwestern Zuneigung für Sie?

Frank: Wenn, wenn, dann drücken sie es negativ aus, in Kritik.

Master: Und wie steht's mit Vater und Mutter?

Frank: Gut. Doch, doch. Obwohl. Mit jedem verschieden gut.

Master: Haben Sie mit Zustimmung Ihrer Eltern geheiratet?

Frank: Sie wollten nicht.

Master: Ach! Und warum nicht?

Frank: Sie glaubten, finanziell sei eine Heirat nicht möglich. Zumindest damals.

Master: Und? Haben wirtschaftliche Schwierigkeiten zu Ihrer jetzigen Situation beigetragen?

Frank: Nein. Nein, da ist kein Zusammenhang.

Master: Na gut. Hilft uns im Moment nicht unbedingt weiter. Nun zu Ellen. Wie kam es zu dieser Liaison?

Frank: Ich lernte Ellen im September kennen, zu Beginn des Studienjahres. Sie fiel mir auf, weil sie immer in der ersten Reihe Platz nahm. Sie saß dann während der zwei Jahre in meinen Seminaren und war sehr scheu und zurückhaltend. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen. Sie hatte eine Art, sich zu bewegen und mich anzuschauen, da trafen mich stets irgendwie Blitze. Dabei habe ich sie immer als ein Kind betrachtet. Schon um mich zu zwingen, keinen Unsinn zu machen.

Master: Ist sie sehr viel jünger als Sie?

Frank: Ziemlich.

Master: Ab wann empfanden Sie Ihr Interesse nicht mehr als Unsinn?

Frank: Schwierig zu sagen. Irgendwie gab es so einen Schub, als die Beziehung zu meiner Frau nicht so, nicht mehr so begeisternd war.

Master: Und woran lag das? Gab es so etwas wie eine Zäsur?

Frank: Ja doch! Ich glaube schon.

Master: Und zwar?

Frank: Als wir zur Familie meiner Frau zogen.

Master (zu Anna): Sehen Sie das auch so?

Anna: Hm! Ich weiß nicht. So im nachhinein muss ich sagen, dass das schon problematisch war.

Master: Inwiefern?

Anna: Wir waren im Zugzwang, sozuagen. Nachdem unsere Vermieterin verstorben war, mussten wir das Zimmer verlassen, in dem wir zur Untermiete kampierten und in dem wir uns natürlich immer sehr nahe gewesen waren. Wir zogen zu meinen Eltern, auch um zu sparen.

Master: Und plötzlich waren Sie sich nicht mehr so nah!

Frank: Ich hatte immer das Gefühl, beobachtet zu werden.

Master: Moment! (zu Anna) Waren Ihre Eltern mit Ihrer Heirat einverstanden gewesen?

Anna: Meine Mutter hatte Einwendungen gemacht, weil, na ja, weil sie kein rechtes Vertrauen zu Frank hatte. Und mein Vater war überzeugt, dass es verkehrt ist.

Master: Keine günstigen Voraussetzungen, in solch ein Haus zu ziehen.

Anna: Eigentlich waren wir zu alt dazu.

Master: Wie alt waren Sie, als Sie heirateten?

Anna: Sechsundzwanzig.

Master: Und Sie?

Frank: Achtundzwanzig. Wenn ich in dem Zusammenhang noch etwas sagen darf. Es war einfach unglückselig, dass es notwendig wurde, mit Ihrer Familie zu leben. Anna hat eine Zwillingsschwester, die furchtbar spießig ist, fast sogar irgendwie neurotisch. Immer mischte sie sich ein. In Dinge, die sie nun wahrhaftig nichts angingen.

Anna: Ich hatte versucht, mich vom Einfluss der Eltern zu lösen. Plötzlich waren wir beide ausgeliefert.

Master: Was war so ablehnenswert?

Anna: Soll ich hier petzen?

Frank: Ihre Eltern hatten sich vollkommen in sich eingesponnen, wahrscheinlich enttäuscht vom Leben irgendwie. Stets war ich froh, wenn das Wochenende vorbei war.

Master: Wie lange haben Sie mit Annas Eltern zusammengelebt?

Frank: Beinahe zwei Jahre.

Master: Haben Sie zum Unterhalt der Familie beigetragen?

Frank: Meine Frau hat im Haushalt geholfen.

Master: Verstehe. Eigentlich doch eine recht günstige Konstellation. Ökonomisch gesehen.

Frank: War schon verlockend.

Master: Sie hatten geglaubt, eine einzelne Person geheiratet zu haben, aber stattdessen waren Sie plötzlich mit einer ganzen Familie verheiratet.

Anna: Irgendwie war mir der Konflikt bewußt, aber ich ahnte nicht, dass er so tief ging. Meine zwei Brüder und meine Zwillingsschwester waren immer da. Sie waren alle solo geblieben und nahmen irgendwie übel, dass eine ihrer Schwestern so unabhängig sein konnte und ihr eigenes Leben leben wollte. Dauernd gab es Reibereien.

Master (zu Frank): Wie war Ihre Beziehung zur Zwillingsschwester?

Frank: Sagte ich ja schon: kompliziert. Sie hat Anna in einer gewissen Art gern gehabt, aber sie lehnte sie trotzdem eigentlich ab. Sie schien so etwas wie freundschaftliche Zuneigung zu mir..., was weiß ich, etablieren zu wollen. Sie kam ständig mit irgendwelchen Problemen zu mir, machte Nebensächlichkeiten wichtig. Dabei verhielt sie sich, manchmal, wenn ich gewollt hätte, ich weiß nicht... Ich gab mich manchmal bewusst zugeknöpft. Übrigens: Es war ihr unmöglich, eine stabile Beziehung zu Männern herzustellen. Sie pflegte anzufangen, warf ihre Angel aus, ganz raffiniert, glaube ich, aber über kurz oder lang brach entweder sie oder der Mann jede Beziehung ab. Da war sie dann immer richtig scharf auf mich.

Master: Danke! Bis hierher. Oder war da irgendetwas zwischen Ihnen und der Schwester?

Frank: Nein, nein, sie war überhaupt nicht mein Typ.

Master: Ich danke Ihnen. (zum Publikum) Man bekommt selten, um das klar zu sagen, solch ehrliche Auskunft, wie sie uns Frank eben gegeben hat. Versuchen wir ebenso ehrlich jetzt eine erste Einschätzung. Für beide, für Anna wie für Frank, so mein Eindruck, schien es vorhin unmöglich, der Szene ein Ende zu bereiten, obwohl sie sich im Kreise zu drehen begann. Das führt uns zu einem interessanten Phänomen, das wahrscheinlich auf Ihr Problem zutrifft. Ich meine die Tatsache, dass es Männer wie Frauen gibt, die zwar fähig sind, etwas Neues zu beginnen, aber nicht vermögen, es dann auch zu Ende zu führen. Dieses Unvermögen zieht sich meist wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben. Sie schleppen es gleichsam mit sich herum. Erstmals zum Vorschein kommt dieses, sagen wir mal Handicap, meist, wenn sie das Elternhaus verlassen wollen, es ihnen aber nicht möglich ist, sich wirklich loszureißen. Oft müssen die Eltern die Entscheidungen für sie treffen. Frank ist vermutlich solch ein Kandidat. Am liebsten, scheint mir, wäre es ihm, wenn die Frauen die Entscheidung träfen! (zu Frank) Ihnen wäre es recht gewesen, wenn Anna gesagt hätte, sie wolle Ihnen nicht im Wege stehen und sich scheiden lassen. Und es wäre Ihnen auch recht gewesen, Ellen hätte gesagt, sie sei zwar in Sie verliebt, doch zu jung für eine feste Verbindung, und Sie sollten zu Ihrer Frau zurückkehren. Auf diese Weise hätte sie die Verantwortung für die Entscheidung getragen. Nach meinem Eindruck leiden Sie an Ihrer Unentschlossenheit. Sie konnten die doppelte Liebe bis zu einem gewissen Grad durchhalten, wahrscheinlich, wie das meist so ist, vor allem sexuell. Aber den Konflikt können Sie nicht lösen, und so leiden die zwei Frauen mit Ihnen. Wobei „leiden“ vielleicht zu viel gesagt ist. So ein Schlittern zwischen Kummer, sobald man sich die Lage wirklich eingesteht, und dem Rausch der Lust, mit dem man erst einmal alles überdeckt. Frank, spielen Sie uns doch bitte Ihr letztes Zusammentreffen mit Ellen.

Frank (verblüfft): Mit Ellen?

Master: Ja, mit Frau Reich. Ich habe sie eingeladen. Bitte, Ellen, kommen Sie herein.

(Ellen kommt herein, Anna rennt hinaus.)

Master: Keine Sorge, Frank, mein Assistent kümmert sich um Ihre Frau. Ellen, guten Tag, schön, dass Sie da sind. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen. Wir haben, wie Sie wahrscheinlich draußen hören konnten, bereits einige Probleme abgetastet. Jetzt hätte ich gern Sie einbezogen. Meine Frage: Sie trafen sich vor kurzem mit Frank?

Ellen: Ja.

Master: Wo?

Ellen: In einer Pension bei Potsdam.

Master: Verlief der Treff harmonisch, oder gab es Ärger?

Ellen: Es gab Stunk.

Frank: Fandest Du?

Ellen: Du nicht?

Master: In welchem Zusammenhang?

Ellen: Am letzten Tag. Ich hatte das Frühstück in sein Zimmer geholt.

Master: Sie ihm?

Ellen: Ich uns.

Master: Und deswegen gab es eine Auseinandersetzung?

Ellen: Ne, überhaupt! Stunk! Einfach Stunk!

Master: Stunk, Reiberei, da gibt es viele Begriffe, und keiner trifft so richtig zu. Bitte, spielen Sie uns doch den Fall vor. Erinnern Sie sich und zeigen Sie, so gut Sie können, was sich ereignete. Nehmen Sie Platz, stellen Sie sich vor, hier sei der Frühstückstisch. Kann es losgehen?

Ellen: Von mir aus.

Master: Dann los!

Frank: Darauf bin ich nicht vorbereitet.

Master: Kein Problem! Spielen Sie spontan aus der Erinnerung. Bitte!

Frank: Ich weiß ja nicht! Ja... (versucht, sich zu erinnern) Wie ging das doch? (zu Ellen) Weißt du noch?

Ellen: Irgendwie! Spiel was!

Frank: Na gut! Fangen wir an. Hast du gut geschlafen?

Ellen: Danke, ausgezeichnet.

Frank: Und sonst?

Ellen: Wenn du fragst: Die drei Tage sind das Wichtigste, was sich seit deinem Weggehen ereignet hat.

Frank: Find ich auch. Dass ich weg musste, war wirklich schrecklich. Aber meine Gefühle für dich waren in deiner Abwesenheit nicht anders.

Ellen: Wie geht es Anna?

Frank: Bitte, lass sie draußen!

Ellen: Weiß sie, dass wir zusammen sind?

Frank: Das ist eine schwere Zeit für sie, selbstverständlich.

Ellen: Bist du sicher, dass sie es ertragen kann?

Frank: Sie muss.

Ellen: Es wäre leichter für dich, wenn du bei ihr bliebst.

Frank: Ich denke, sie wird mit der Zeit darüber hinwegkommen.

Ellen: Es ist blöd, ich weiß, aber ich habe ein schlechtes Gewissen. Ihretwegen tut mir die Sache leid. Ich fühle mich schuldig.

Frank: Wir haben so viel zu besprechen.

Ellen: Ja, richtig, eine Menge. Einmal müssen wir uns der Lage stellen. Tun wir es jetzt?

Frank: Ich möchte dich nicht verlieren.

Ellen: Ich bin der Eindringling. Ich ziehe dich weg von Anna.

Frank: Habe ich dir nie gesagt, dass ich dich liebe?

Ellen:  Das Problem ist, ich habe angefangen.

Frank: Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte, getrennt von dir zu leben. Scheiße! (zum Master) Das stimmt so nicht! Wir saßen nicht am Tisch, wir lagen im Bett! Da kommen die Gedanken ganz anders.

Master: Aber bitte! Hier ist eine schöne breite Couch. Benutzen Sie das Möbel. Im Rahmen der Öffentlichkeit. Wenn Sie verstehen, was ich...

Frank: Ja, ja! (zu Ellen) Komm! (Ellen und Frank legen sich auf die Couch.)

Master: Versuchen Sie, eine Haltung zu finden. Erinnern Sie sich und nehmen sie den Faden wieder auf.

Frank: Ja, ja, ich mach schon. (legt seinen Arm um Ellen, nähert sich ihr zum Kuss, hält ein) Hm, seltsam! Ich weiß nicht, ob ich das hier sagen sollte...

Master: Aber ja!

Frank: Mir wird da plötzlich etwas bewusst. Ich weiß nicht.

Master: Sprechen Sie.

Frank: Also offen: Sobald ich Ellen nahe bin, habe ich ein ungeheures Verlangen nach Zärtlichkeit. Das überfällt mich einfach, ich weiß nicht, wieso. Sie strahlt etwas aus, das mich magisch anzieht. Lust auf Liebe, Verlangen nach Zärtlichkeit. Gefühle, die sich bei Anna nie einstellen. Es ist wie verhext!

Master: Verstehe, verstehe. Aber es muss da doch auch noch andere Emotionen geben. Immerhin haben Sie Ellen verlassen. Kommen wir doch noch einmal auf den Punkt. Ellen, vielleicht helfen Sie. Wie war das doch?

Frank: Noch mal überlegen.

Ellen (nach kurzem Zögern): Ja, so ungefähr. Ich spinne mal: Als du aus Leipzig weggingst, hatte ich das Gefühl, dass es ein vollkommener Abbruch war und alles zu Ende sei. Ich habe nicht einmal zu denken gewagt, was passieren könnte, wenn wir uns nicht mehr träfen.

Frank: Ah ja, ich weiß wieder. (streichelt sie): Deine letzten Worte damals... so lieb! So verdammt lieb. Ich werde sie nie vergessen.

Ellen: Inzwischen weiß ich, verstehst du? Ich weiß einfach, dass du für mich wichtig bist. Eine Notwendigkeit. Verstehst du? Eine Notwendigkeit! Aber das Leichteste wäre natürlich, einfach zu verschwinden.

Frank: Sei nicht verrückt! Die drei Tage waren doch wundervoll!

Ellen: Bist du dir klar darüber, dass ich keine Ahnung habe, wie ich mit dir zusammenleben soll? Du kannst elf Jahre deines Lebens nicht einfach auswischen. Du schon gar nicht!

Frank: Wir kennen uns zwei Jahre!

Ellen: Elf Jahre stehen dagegen!

Frank: Und wir hatten die drei Tage!

Ellen: Elf! Elf Jahre! (Anna kommt zurück. Ellen zum Master) Muss ich darauf reagieren?

Master: Steht Ihnen frei!

Ellen: Wird deine Frau kämpfen?

Frank: Ich weiß nicht, warum du das ansprichst. Sollten wir nicht besser versuchen, uns darüber schlüssig zu werden, was wir tun wollen?

Ellen: Klar! Wir machen Schluss, fahren nach Hause! Wenn wir uns weiter treiben lassen und romantisch werden, wird es nur immer schwerer, eine Entscheidung zu treffen. Es war schön, wunderschön, du bist Spitze, im Bett und überhaupt, aber nun ist fini! Aus und vorbei!

Frank: Romantisch wäre gewesen, wenn wir die Zeit irgendwo auf dem Lande verbracht hätten.

Ellen: Land, Land! Immer buchst du aus! Ist es vielleicht möglich, dass du uns beide willst?

Frank: Wahrscheinlich. Höchstwahrscheinlich sogar.

Ellen: Wenn das nun aber nicht möglich ist, und du musst dich entscheiden. Warum greifst du dir dann nicht die Frau heraus, die du kennst? Ist es nach elf Jahren so unmöglich, romantische Gefühle für jemanden zu haben?

Frank: Man ist elf Jahre älter, meine Liebe! Ganz schöner Verschleiß an Romantik.

Ellen: Zeit und Alter bedeuten nichts! Nichts!

Frank: Find ich nicht!

Ellen: Jedenfalls hasse ich derart unangenehme Zwänge!

Frank: Meine Gefühle für dich sind anders als die für Anna.

Ellen: Na und? Was bringt uns das?

Frank: Du und ich, wir sind einander körperlich und seelisch ähnlicher. Wir sind beide gleich sensitiv. Wir mögen dieselben Dinge, und wir denken das gleiche, wir sprechen einfach die gleiche Sprache.

Anna (sarkastisch) O-Ton vor elf Jahren! Genau!

Master (beruhigend zu Anna): Bitte, Anna! Gedulden Sie sich.

Ellen: Wie war das mit Anna? Sie scheint sich zu erinnern.

Frank: Hm, ich...!

Ellen: Und wie ist es?

Frank: Ich werde nie vergessen, wie sie mir half, ein Mann zu werden. Das schon mal! Und für meine Promotion hat sie mir toll geholfen. Fakt bleibt Fakt. Alle Schreibarbeiten, weißt du. Aber die zwei Jahre, in denen ihre Familie mich so elend gemacht hat, wiegen schwer.

Ellen: Ihre Familie, hm!

Master: Dankeschön! Bis hierher zunächst. (zum Publikum) Männer, wie wir wissen, wählen nicht immer die Frauen, mit denen es am leichtesten zu leben ist. Frauen handeln nicht anders. Warum müssen wir uns verlieben, wenn solche Schwierigkeiten daraus erwachsen? Fragen wir Ellen. Sie bereuen nicht, meiner Einladung gefolgt zu sein?

Ellen: Sie appellierten an meinen Sinn für bizarre Situationen. Ich fürchte, der nimmt ab.

Master: Es gibt viele Liebesdreiecke. Und die Lust ist meist nur in einer Ecke. Das Muster wiederholt sich, zwischen allen sozialen Schichten. Es trifft Junge und Alte. Es ist überhaupt nichts Außergewöhnliches, es existiert durch die ganze menschliche Geschichte hindurch, wenn Sie mich bitte nicht so ganz wörtlich nehmen. Was soll man tun, um die Liebe des ersehnten Partners zu erringen? Sich geben, wie man ist, oder lügen? Man schwankt hin und her. Meist tut man beides und aufs Geratewohl. Wir würden alle gern den uns am besten ergänzenden Partner wählen, mit dem wir glücklich zu leben vermögen, ohne Reibungen und Widerstände. Können Sie sich vorstellen, wie herrlich es wäre, wenn alle Liebe erwidert würde, wenn Sie einfach Frank getroffen und, nachdem sie sich in ihn verliebt haben, herausgefunden hätten, dass er Sie auch liebt? Aber so ist die Welt leider nicht! Nein! Ist sie nicht! Wir bekommen nicht immer, eher selten, den Menschen, den wir haben wollen. Und unsere Unfähigkeit, dieses Verlangen zu erfüllen, bringt uns in allergrößte Schwierigkeiten. Immer wieder, immer wieder. Und das überall auf dieser Welt! Sie sind nur eine unter Millionen, Ellen! Was ist daran so unangenehm?

Ellen: Ich kann einfach nicht fassen, dass ich, ausgerechnet ich, mich in einer solch blöden Lage befinde.

Master: Was heißt das?

Ellen: Das heißt, dass ich es hasse, Schwierigkeiten zu haben. Überhaupt! Unfähigkeit! Da stimmt etwas nicht in Ihrer Beschreibung. Ich war schon fähig, mir den Mann ins Bett zu holen, den ich mir ausgeguckt hatte. Aber die Umstände sind gegen mich! Sonst wäre alles fast vollkommen!

Master: Jeder von uns hat das Verlangen nach Vollkommenheit. Vollkommenheit in der Kleidung, in der Sprache, in der Arbeit und besonders in der Liebe. Und Sie hatten da einen ganz guten Griff! Ohne Zweifel! Haben Sie überhaupt Grund, sich in Schwierigkeiten zu fühlen? Hier sind drei Personen: Sie, Frank und Anna. Es gibt kein Unrecht in Ihrer Situation. Sie sind lediglich mit Wünschen und Problemen beladen, die alle Leute haben.

Ellen: Ich fühle, geradezu körperlich fühle ich, das ist etwas Unglückseliges, etwas Unpraktisches. etwas Blödes! Ja, Blödes!

Master: Lassen sie mich vergleichen. Wie ist das denn, wenn ein Junge oder ein Mädchen die Mutter verlässt? Verursacht das nicht manchmal auch Schwierigkeiten? Aber wir betrachten das nicht als etwas Beschämendes.

Ellen: Beschämend? Ihre Vergleiche hinken! Mann, muss ich mir das anhören?

Master (um Fassung ringend): Ein Junge wächst heran, und schließlich verlässt er seine Mutter zu ihrem großen Kummer. Ähnlich Ihr Fall. Sie denken, dass Sie einer anderen Frau den Mann wegnehmen? Fürchten Sie, dass dieser Mann noch immer an diese Frau gebunden ist?

Anna: Das möchte ich hoffen!

Master (beschwichtigt Anna gestisch, zu Ellen): Wollen Sie ihn wirklich haben? Geht es um Lust mit Liebe? Oder sind Sie etwa nur des Alleinseins müde und möchten einfach einen Kameraden? Für die Lust?

Ellen (ärgerlich): Gerede! Gerede!

Master: Geduld, Ellen! Bitte, Geduld! Sie haben lange allein gelebt?

Ellen: Immer bei meinen Eltern. Meine Mutter lebt noch, mein Vater ist tot, falls Sie das auch noch wissen müssen.

Master: Haben Sie Geschwister?

Ellen: Nein.

Master: Welchen Beruf hatte Ihr Vater?

Ellen: Er war Rechtsanwalt.

Master: Wie haben sich Ihr Vater und Ihre Mutter getroffen?

Ellen: Was soll das jetzt?

Master: Die erste Begegnung ist immer wichtig. Wie haben Sie zum Beispiel Frank getroffen? Ja, zeigen Sie uns, wie Sie ihn getroffen haben. Frank, erinnern Sie sich?

Frank: Meine erste Begegnung mit Ellen?

Master: Sie erinnern sich gut?

Frank: Sehr gut!

Master: Und Ellen?

Ellen: Von der ersten Begegnung weiß er gar nichts!

Master: Wieso das denn?

Ellen: Ich hatte schon ein paar Mal in seinem Seminar gesessen, ohne dass er mich auch nur eines Blickes gewürdigt hätte.

Frank: Irrtum! Schon beim zweiten Mal war mein erster Blick, ob du da bist!

Master: Na gut, da gab es also ein stilles Vorspiel. Und wo spielt die erste konkrete Begegnung?

Frank: Auf der Straße. Plötzlich sprach sie mich an. Mit einer ganz dummen Frage. Sie hat bestimmt gewusst, wo die Bibliothek ist, als Leipzigerin. Aber damals wusste ich noch nicht, dass Leipzig ihre Heimatstadt ist.

Master: Bitte, stellen Sie uns das dar. Sprechen Sie auch Ihre Gedanken aus, damit wir die Motive kennen lernen.

Ellen: Schwierig! (blickt ins Publikum.)

Master: Keine Sorge, die haben alle schon Ähnliches erlebt. Also bitte! Wie ging das vor sich?

Ellen: Er stand an der Haltestelle.

Frank: Ich wartete auf die Straßenbahn.

Ellen: Ich nahm mein Herz in die Hand und sagte: Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wie ich von hier zur Deutschen Bücherei komme?

Frank: Indem Sie (zeigt mit der Hand) mit mir da lang gehen.

Ellen: Oh, Sie wollen auch da hin? (zum Master) Das hatte ich geahnt!

Frank: Die Bahn kommt sowieso nicht, man kann ganz gut gehen.

Ellen: Ja? Das soll weit sein, draußen beim Völkerschlachtdenkmal.

Frank: Kein Problem! Am besten hier lang! (geht los) Kommen Sie! Eine Abkürzung.

Ellen: Eh, phantastisch! (geht los)

Frank: Etwas für Einheimische!

Ellen: Aha! Schön, wirklich!

Frank: Gefällt Ihnen Leipzig?

Ellen: Fürchterliche Luft hier.

Frank: Großstadt, nichts zu machen.

Ellen: Früher soll's noch schlimmer gewesen sein.

Frank: Gefällt es Ihnen an der Uni?

Ellen: Wie kommen Sie darauf?

Frank: Sie sind doch Studentin oder?

Ellen: Ja, ja.

Frank: Keine Probleme?

Ellen: Ich find', zu viele Dinge werden uns einfach so an den Kopf geworfen.

Frank: Am besten, erst einmal alles schlucken, und dann nach und nach verdauen.

Ellen: Ja, ja, so muss man es wahrscheinlich machen.

Frank: Übrigens, wissen Sie, vielleicht ist das aufdringlich, aber ich höre Sie gern sprechen.

Ellen: Eh, noch was?

Frank: Ich könnte Stunden so mit Ihnen gehen und zuhören!

Ellen: Ah, da ist ja die Bibliothek!

Frank: Kommen Sie, ich zeige Ihnen...

Master: Dankeschön! Und seither sind Sie oft zusammen in die Deutsche Bücherei gegangen?

Frank: Oft kann man eigentlich nicht sagen.

Ellen: Nur wenn es sich ergab. Einfach so.

Master: Ich verstehe. Und wie war das: Sagten Sie ihr, dass Sie verheiratet sind?

Frank: Ja, schon. Ich glaube, es war wieder an der Haltestelle.

Ellen: Ja, ja, es war elendes Wetter. Und ich hatte das Gefühl, er nutzt die Situation aus.

Master: Wir bitten um Darstellung.

Frank: Also, hm, sie stand da, wartete im Häuschen. Und ich sah, als ich herankam, also, sie schaute, so als erwarte sie mich.

Master: (zu Ellen): Stimmt's?

Ellen: Er wollte vorbei, aber ich trat so hin, dass das nicht ging.

Frank: Und ich sagte erst mal blabla, elendes Wetter oder so ähnlich.

Ellen: Ja, vom Wintermantel hast du geredet.

Frank: Richtig! Ich sagte: Fast hätte ich meinen Wintermantel angezogen.

Ellen (lacht) Ich habe ihn an.

Frank (tritt hin und her, hat es offenbar eilig): Schlaues Mädchen, joi, joi!.

Ellen: Die Bahn muss gleich kommen.

Frank: Tut mir leid, heute kann ich nicht. Muss mich beeilen, nach Hause zu kommen. Meine... meine Frau erwartet mich.

Ellen: Alle netten Männer sind verheiratet. Sagt man.

Frank: Ich bin nett?

Ellen: Was arbeitet Ihre Frau?

Frank: Sie ist Lehrerin, aber sie arbeitet nicht. Ihre Familie will nicht, dass sie arbeitet, wissen Sie. Wir leben mit ihrer Familie zusammen... wegen der Wohnung.

Ellen: Ich bin ledig.

Frank: Ja, also, Entschuldigung, ich muss jetzt gehen.

Ellen: Oh, natürlich. Wiedersehen.

Frank: Auf Wiedersehen. (ab)

Master (zu Ellen): Was dachten Sie, als er Ihnen das so nebenbei mitteilte?

Ellen: Ich darf mich nicht zu sehr für ihn interessieren.

Master: Woran Sie sich nicht gehalten haben.

Ellen: Anfangs schon. Aber dann, eines Tages, habe ich Frank irgendwie aus einer Laune heraus gesagt, er soll mich doch mal besuchen und seine Frau mitbringen.

Master: Sie sind also raffiniert zum Angriff übergegangen?

Ellen: Sehen Sie das so?

Master: Könnte man so interpretieren.

Ellen: Ich wollte ihn bei mir haben. Irre Idee wahrscheinlich, aber mit Frau war so ein Besuch ganz unverfänglich.

Master: Kam es zu diesem Besuch?

Ellen: Ja.

Master (zu Frank): War das nicht sehr ungewöhnlich? Mit Ehefrau zu einer Studentin?

Frank: Doch, schon! Aber, wenn ich mich jetzt so daran erinnere, ich war wirklich neugierig zu sehen, wie diese Frau wohnt.

Ellen: Und mir nahe sein!

Frank: Ja, auch das! Wenn meine Frau mitging, war das am unverfänglichsten, auch gegenüber meiner Frau.

Master: Logisch! Dieser Besuch interessiert uns. Anna, spielen Sie bitte mit. Das ist auch für Sie wichtig. Kommen Sie!

Anna: Wenn Sie meinen. (kommt auf die Bühne.)

Master: Bitte, erinnern Sie sich. Wie etwa lief das ab? Nehmen wir an, hier ist Ellens Wohnung, da die Tür. Sie beide davor, Sie dahinter. Ja? (Ellen, Anna und Frank gehen auf Position.) So, alles klar. Dann los bitte!

(Frank klopft.)

Ellen (öffnet): Da sind Sie ja! Bitte, kommen Sie herein.

Frank: Guten Abend, Frau Reich. Darf ich vorstellen: meine Frau.

Ellen: Tag, Tag.

Anna: Guten Tag!

Ellen: Freut mich, Sie kennen zu lernen. Frank, eh, Ihr Mann hat mir viel von Ihnen erzählt.

Anna: Er hat auch viel von Ihnen gesprochen. Reizend haben Sie sich eingerichtet. Es muss schön sein, so eine Wohnung zu haben.

Ellen: Bitte, nehmen Sie Platz!

Frank: Danke. Ja, wirklich, dezenter Geschmack.

Anna: Frank, glaubst du, dass wir je eine solche Wohnung haben werden?

Frank: Warum nicht?

Ellen: Ein kleiner Imbiss. Bitte, greifen Sie zu!

Frank: Hm, Sie sind eine gute Köchin, wie?

Anna: Ja, es schmeckt ausgezeichnet.

Frank: Ah, und da, die Gesamtausgabe von Thomas Mann. Exklusiv vom Aufbau-Verlag, wenn ich das richtig sehe. Aussichtslos vergriffen.

Ellen (zu Anna): Nehmen Sie eine Zigarette?

Anna: Danke, danke. Sie sehen Frank oft in der Universität?

Ellen: Wie man's nimmt. Ich muss in sein Seminar, einmal in der Woche.

Frank: Sie haben wirklich eine richtige kleine Bibliothek.

Ellen: Sie übertreiben. Einige Bücher gehören einer Freundin. Ich kann leider nicht alle anschaffen, die ich haben möchte.

Frank: Ah, was sehe ich denn hier: Lady Chatterley! (nimmt das Buch in die Hand.)

Ellen: Ausgerechnet das fällt Ihnen in die Hände.

Anna: Die Sex-Story?

Frank: Nicht übel, die Frau!

Anna: Ich denke, wir sollten jetzt gehen.

Ellen: Oh bitte nein, noch nicht. (nimmt Frank das Buch ab) Was sind Sie neugierig! Kommt hierher und kramt in meinen Büchern.

Frank: Entschuldigung!

Anna: Es war nett von Ihnen, uns einzuladen. Ich habe gezögert, aber dann wollte ich einfach einmal sehen, welche Studentin Frank so selbstlos fördert.

Frank: Ach, tu ich das?

Anna: Oder übertreibe ich?

Ellen: Ich weiß nicht. Ihr Mann ist sehr gerecht. Er fördert eigentlich alle.

Frank: Also, genug zu dem Thema. Es war nett bei Ihnen, aber jetzt müssen wir wirklich los. Auf Wiedersehen, bis morgen! (verlässt die Bühne)

Anna: Auf Wiedersehen, guten Erfolg in Ihrem Studium. (verlässt die Bühne.)

Ellen (will ebenfalls abgehen.)

Master: Ellen, Moment bitte! Sagen Sie, war der Abschied in Wirklichkeit auch so abrupt und brüsk?

Ellen: Nein! Das lief da bisschen anders.

Master: Und welchen Eindruck hatten Sie von Anna? Damals?

Ellen: Hm, was soll ich sagen. Sie kam mir ziemlich affektiert vor. Ich mag diese Frau nicht besonders, und ich habe das Gefühl, sie mag mich auch nicht leiden.

Anna: Stimmt!

Master (hebt besänftigend die Hand, dann zu Ellen) Wie lange waren Sie an jenem Abend beisammen?

Ellen: Ziemlich lange, glaub ich. Das war seltsam. Irgendwie hing immer irgendein Krawall in der Luft, und trotzdem blieben die beiden wie festgewachsen.

Master: Hat Anna über sich gesprochen?

Ellen: Jedenfalls mehr als ich über mich.

Master: Und wie fanden Sie Frank?

Ellen: Das war irgendwie beunruhigend für mich. Er schien mehr Zuneigung zu seiner Frau zu haben, als ich vermutet und gehofft hatte.

Master: Und umgekehrt?

Ellen: Sie schien sehr von ihm abhängig.

Anna: Langsam, junge Frau!

Master: Bitte, Anna! (zu Ellen) Also Ihre Schlussfolgerung war, die beiden gehören enger zusammen als Ihnen lieb war?

Ellen: Ich glaube, das dachte ich nicht. Ich wollte es einfach nicht denken.

Master: Ich verstehe. Wie war Ihre Einstellung zu Frank nach diesem Besuch?

Ellen: Mein Gefühl hatte sich bestätigt: Privat-Gebiet, Zutritt verboten.

Master: Haben Sie das Frank gesagt?

Ellen: Natürlich nicht.

Master: Also Sie hatten klar das Gefühl, sie sollten sich besser fern halten?

Ellen: Ja.

Master: Hat das Anna irgendwie befördert? Hatten Sie an dem Abend zum Beispiel den Eindruck, dass Anna so nebenher etwas sagte, das eigentlich ganz für Sie persönlich bestimmt war?

Ellen: Ich glaub nicht. Sie sprach eher, um die Zeit irgendwie auszufüllen und ihre Gefühle zu verdecken.

Anna: Irrtum!

Master: Bitte, Geduld, Frau Manz.

Anna: Soll ich mir das vielleicht ruhig mit anhören?

Master: Wollen Sie uns lieber einen Moment allein lassen?

Anna: Ja, das will ich! (erhebt sich)

Master: Mein Assistent wird Ihnen draußen eine Erfrischung reichen. (Anna ab.) Hat Anna Ihnen geschmeichelt und nette Dinge zu Ihnen gesagt?

Ellen: Ja.

Master: Hielten Sie sie für aufrichtig?

Ellen: Nein.

Master (zu Frank): Glauben Sie, sie war misstrauisch und wollte etwas herausfinden?

Frank: Keine Ahnung. Aber ich muss viel von Ellen erzählt haben, ungewollt, mehr als richtig war.

Master: Vermutete Anna Ihre Gefühle für Ellen?

Frank: Ich denke nicht, aber ich bin nicht sicher. Wahrscheinlich war sie über die ganze Zeit wegen irgendetwas misstrauisch, was ich gar nicht bemerkt habe.

Master (zum Publikum): Das finden Sie oft, dass heimlich Verliebte keine richtige Kontrolle mehr über sich haben. Sie benehmen sich auffällig und ungewöhnlich, ohne es zu spüren. (zu Frank) Zu jener Zeit lebten Sie in der Familie von Anna?

Frank: Ja.

Master: Und Sie entwickelten eine gewisse Abneigung gegen diese Familie?

Frank: Irgendwie bestand ein Vorbehalt schon vorher. Und das eskalierte damals.

Master: Sie befürchteten, entdeckt zu werden.

Frank: Gott, das ist wohl übertrieben.

Master: Übertrugen Sie Ihre gewissen Aversionen gegenüber der Familie auch auf Ihre Frau?

Frank: Wahrscheinlich.

Master: Aber dadurch, dass Sie mit Annas Familie lebten, war es Ihnen möglich, Ihre Dissertation zu schreiben?

Frank: Das war eine Zwickmühle.

Master: Inwiefern?

Frank: Ich hätte ins Studentenheim gemusst. In Annas Elternhaus war einfach Ruhe. Und vor allem: Ich brauchte mich um nichts zu kümmern, nur um meine Arbeit. Anna schirmte mich ab. Außerdem schrieb sie jede Seite, manchmal doppelt und dreifach, wenn umgearbeitet werden musste.

Master: Verstehe. Sagen Sie, waren Sie je in eine andere Affäre verwickelt, bevor Sie Ellen trafen?

Frank: Nein. Ist nicht meine Art.

Master: Wie lange hatten Sie in der Familie von Anna gelebt, als Sie Ellen trafen?

Frank: So sieben, acht Monate.

Master: Und wie lange blieben Sie noch da?

Frank: Ein gutes Jahr.

Master: Und in dieser Zeit bekamen Sie mehr und mehr Interesse für Ellen.

Frank: Ja.

Master: Der Kontakt entwickelte sich also nicht schnell. Sie brauchten mehr als ein Jahr dazu. Ist das nicht eine ziemlich lange Zeit für zwei erwachsene Menschen?

(Ellen und Frank lachen zustimmend.)

Ellen: Ich danke Ihnen.

Master: Tatsächlich, erstaunlich lang. Frank, wie lange haben Sie gebraucht, um mit Anna bekannt zu werden?

Frank: Mit Anna? Hm, eine, ein paar Wochen.

Master: Dann war das eine leichte Geburt damals, verglichen mit dieser. Was verursachte Ihren so langsamen Fortschritt zu Ihrem Ziel? Hatten Sie überhaupt eines?

Frank: Ziel, der Begriff stimmt hier nicht. Ich hatte kein Ziel. Die Geschichte wuchs einfach in mir. Irgendwie ohne mein Zutun. Deswegen war ich so verunsichert. Bei Anna, die wollte ich. Bei Ellen...

Master: Ja?

Frank: Gut. Schließlich wollte ich sie auch.

Master: Können Sie sich Ihre Langsamkeit erklären?

Frank: Na hören Sie mal! Als verheirateter Mann, da zögert man doch wohl, wenn man noch ein bisschen Moral im Leibe hat. Oder?

Master: Also die Tatsache, dass Sie verheiratet sind, hatte den Effekt, Sie zu bremsen.

Frank: Aber ja, entschieden!

Master: Sie hatten nie den Wunsch, sich ihr zu nähern und ihr zu sagen, dass Sie sie lieben?

Frank: Aber natürlich!

Ellen: Ich spürte das!

Master (wendet sich ihr zu): Aber auch Sie hielten sich zurück?

Ellen: Ziemlich.

Master: Es entstand eine Schranke, als Sie erfuhren, dass er verheiratet ist. Wie lange nach Ihrem ersten Zusammentreffen hatte er es Ihnen gesagt?

Ellen: So sechs Wochen.

Master: Und zu dieser Zeit standen Ihre Gefühle für Frank bereits fest?

Ellen: Ich nehme an. Sonst hätte ich kaum den Mut zu dieser Einladung gehabt. Wissen Sie, da macht man manchmal Sachen, die man selber nicht begreift.

Master: Stimmt, darüber sprachen wir bereits. Dann gab es also diesen Besuch. Haben Sie danach etwas getan, um die Zusammentreffen zu verhindern oder schwieriger zu machen?

Ellen: Eine Zeitlang mied ich ihn. Ich bin jetzt nicht mehr stolz darauf.

Master: Und Sie, Frank?

Frank: Ich habe meine Gefühle erst einmal unterdrückt, richtig unterdrückt. Und dennoch immer wieder ihre Nähe gesucht.

Master: Sie hatten Angst, sie zu verlieren?

Frank: Ich hätte Ellen nicht gesagt, dass ich sie liebe, wenn ich die Situation hätte heraufbeschwören müssen.

Master: Also die Situation ergab sich?

Frank: Ja, irgendwie.

Master: Rekonstruieren Sie diese Situation. Bitte!

Frank: Ja, hm! Es war in der Universität, nach einer Vorlesung. Wir trafen uns mehr oder weniger zufällig. Stimmt's?

Ellen: Stimmt.

Frank: Irgendwie hattest du es darauf angelegt, dass es zu einem Kontakt kam. Jedenfalls verhieltst du im Schritt.

Ellen: Stimmt.

Frank: Plötzlich hörte ich mich sagen, so ungefähr: Ellen, hast du ein paar Minuten?

Ellen: Ja, das sagte er. Und ich wusste nicht, ob ich sollte.

Frank: Und ich dachte: Dieses Mal muss sie mitkommen. Was für ein Tag! sagte ich. Lauter irres Zeug.

Ellen: Es war wie im Traum. Und ich wollte nicht intim mit ihm reden, das schien mir sicherer.

Master: Aber Sie verhielten im Schritt?

Ellen: Irre, ja!

Master: Bitte, spielen Sie!

Frank: Setzen wir uns?

Master: Setzen?

Frank: Na ja, das mit dem Schritt, das kriegen wir ja doch nicht wieder so hin. Wir setzten uns auf eine Bank.

Master: Aber bitte!

(Ellen und Frank setzen sich.)

Frank: Ja, wie war das doch gleich? Mann, jetzt bin ich doch direkt wieder aufgeregt.

Ellen: Ich glaub', ich sagte: Eigentlich habe ich gar keine Zeit.

Frank: Ja, ja! Und ich: Weißt du, ehrlich, ich habe alle möglichen Typen von Frauen getroffen, aber mit dir kenne ich mich nicht aus.

Ellen: Du hast nicht viel Gelegenheit gehabt, mich als Frau kennen zu lernen.

Frank: Tatsächlich, ich habe nicht viel von dir kennen gelernt.

Ellen (zum Master): Ich hatte es so gewollt.

Master: Gut, gut, spielen Sie weiter.

Frank: Weißt du, weshalb ich dich jetzt, es ist, ich habe eine Stelle in Berlin.

Ellen: In Berlin?

Frank: Sie gibt mir die Gelegenheit herauszufinden, ob ich das Zeug zu einem Wissenschaftler habe, zu einem guten Wissenschaftler. Aber der Gedanke, dass ich dann fort muss, gefällt mir nicht.

Ellen: Dann bleib.

Frank: Du würdest mich vermissen?

Ellen: Vielleicht.

Frank: Ich werde dich vermissen. Ich ja.

Ellen: Ja?

Frank: Du bist seit Wochen in meinen Träumen.

Ellen: Ich habe auch von dir geträumt. Dann ahnte ich warum,... und versuchte zu vergessen.

Frank: Wohin soll das führen?

Ellen: Wozu kann es führen?

Frank: Wir können nicht einmal gründlich über uns sprechen. In drei Wochen muss ich weg!

Ellen: Dann muss ich eben irgendwie damit fertig werden.

Frank: Ich könnte hier bleiben, aber ich bin immer noch verheiratet. Was käme dabei heraus?

Ellen: Nichts Gutes, nehme ich an.

Frank: Ich weiß nicht, was ich dagegen tun kann, dich so zurück zu lassen. Ich liebe dich schon viel länger, als ich eingestehen mag.

Ellen: Ja, was können wir machen?

Frank: Ich fürchte, wir können gar nichts tun. Das Beste wird wahrscheinlich sein, Lebewohl zu sagen und zu vergessen. Sich in die Arbeit stürzen und vergessen. Scheiße!

Ellen: Ja, Scheiße!

Frank: Wollen wir nicht wenigstens versuchen, während der letzten drei Wochen so viel wie möglich zusammen zu sein?

Ellen: Wir müssen es einfach hinnehmen.

Frank: Wenn es gerade erst angefangen hätte! Aber so! Meine Gefühle sind nicht ein bisschen verbraucht!

Ellen: Na?

Frank: Ich kann und will dich nicht so gehen lassen!

Ellen: Wenigstens mal schlafen mit mir.

Frank: Würdest du?

Ellen: Gehen wir.

Frank: Jetzt?

Ellen: Oder nie!

Frank: Treffen wir uns, Donnerstag in der Bibliothek, so 19.30.

Ellen (erhebt sich): Vielleicht.

Master: Dankeschön. Bitte, setzen Sie doch gleich fort. Sie sind gut drauf. Zeigen Sie uns diesen Donnerstag! Ist Ellen gekommen?

Frank: Sie kam viel später, als ich gehofft hatte. Ich bin schon 19 Uhr hingekommen und gab vor zu arbeiten. Aber ich konnte mir den Gedanken nicht aus dem Kopf schlagen, dass sie ihre Bemerkung ‚jetzt oder nie’ wahr machen würde und nicht kommen würde. Was sollte ich tun, wenn sie nicht käme? Ich rief mir die Szene vom Dienstag immer und immer wieder in die Erinnerung zurück und wurde immer sicherer, dass sie nicht käme. Ich empfand mich als Idioten, der die Gelegenheit nicht beim Schopfe gepackt hatte. Immer wieder malte ich mir aus, wie das wäre, wenn ich sie wenigstens einmal im Leben nackt in meinen Armen gehalten hätte. Irre schön! Ich konnte nicht arbeiten. Endlich kam sie, nahm entfernt irgendwo Platz. Wir saßen an verschiedenen Tischen und taten, als ob wir sehr beschäftigt wären. Das ging so bis gegen dreiviertel acht. Dann fasste ich endlich ein Herz, das übrigens wie verrückt schlug, und ging zu ihr, tat so als ob es ein Zufall wäre.

Master: Und Sie Ellen?

Ellen: Ich dachte, ich bin eine Närrin, dass ich hingegangen bin. Mal mit einem Mann schlafen, bei dem man schon weiß, das wird nichts, na ja, das regt dann auch nicht auf. Aber das wurde alles ganz anders! Ich wünschte, ich hätte dieses Verhältnis nie angefangen. Nur Zeitverschwendung, dachte ich. Und trotzdem...

Master: Danke! Frank, Sie noch eine Erinnerung?

Frank: Hm, ich dachte nur eins: Wie kann ich sie endlich hier herausbekommen? Und ich wunderte mich plötzlich, wie viele Leute uns dort schon kennen mussten. Es war mir, als würden sie alle nur darauf warten, wann wir beide nun endlich gemeinsam losgehen. Was wir nie gemacht hatten vorher. Immer ging einer zuerst, und der andere wartete geraume Zeit. Dann schaukelte das so in mir hoch. Sie ging nicht, dass ich hätte folgen können. Plötzlich hatte ich Angst voranzugehen, weil sie dann vielleicht gar nicht folgen würde. Und dann schoss mir durch den Kopf: Irre, du bist schon elf Jahre verheiratet und benimmst dich hier wie ein Pennäler.

Master: Danke. (zu Ellen) Sie noch etwas?

Ellen: Hm, Tausende wirre Gedanken! Mir war ganz schwindlig. Sollte ich hingehen zu ihm an den Tisch? Ich konnte mich kaum noch beherrschen. Kein klarer Gedanke! Nicht einer!

Frank: Übrigens. Ich dachte auch an Anna. Was würde sie sagen, wenn sie das wüsste? Ich darf kein Drama aus unserer Ehe machen, dacht ich. Wir waren in gewisser Hinsicht glücklich, allerdings nicht in den letzten Jahren. Ich kenne Ellen jetzt zwei Jahre. Anderthalb Jahre. Und das ist jetzt das Ende für uns. Komisch. Man heiratet jemand, das ist das Größte, und dann auf einmal kommt jemand anderer. Ich habe nicht gedacht, dass ich jemand so lieben könnte. Irre! Alles wirr!

Master: Gut, das reicht uns, spielen wir das jetzt! (zu Ellen) Sie sitzen da an Ihrem Arbeitstisch in der Bibliothek (Ellen setzt sich), und Frank hat sich eben ein Herz gefasst und ist zu Ihnen herangetreten.

Frank: Hallo!

Ellen: Hallo!

Frank: Da bist du ja.

Ellen: Da bin ich.

Frank: Fertig mit der Arbeit?

Ellen: Nicht unbedingt.

Frank : Fahren wir?

Ellen: Ich muss nur noch meine Sachen zusammenpacken.

Frank: Ich helfe dir.

Ellen: Schon gut! (sie erhebt sich, geht los.)

Frank (folgt ihr): Du glaubst doch nicht, dass ich dich jetzt weglasse!

Ellen: Nein?

Frank: Warte doch! Bitte! (sie verharren) Weißt du (schaut auf die Uhr), dass du fast eine Stunde zu spät gekommen bist?

Ellen: Schwierige Entscheidung. Für dich nicht?

Frank: Ich habe noch eine Stunde!

Ellen: Trinken wir etwas.

Frank: Hier irgendwo?

Ellen: Ich find alle Gaststätten schrecklich.

Frank: Wir gehen einfach in die erste beste, die wir sehen.

Ellen: Ah, hier ist schon eine.

Frank: Was für eine Spelunke.

Ellen: Eine schöne Spelunke.

Frank: Wir können in den Raum hinter der Bar gehen.

Ellen: Du kennst dich aus.

Frank: Lange her. Ah, was möchtest du trinken?

Ellen: Wodka.

Frank: Wodka? Gut. Für mich auch.

Ellen: Ich nehme ihn doch lieber mit Selter.

Frank: Ich will ihn pur.

Ellen: Brr!!

Frank: Brennt durch, was?

Ellen: Ein merkwürdiger Platz. Dieser Krach an der Bar.

Frank: Was tun wir jetzt?

Ellen: Ich weiß nicht.

Frank: Eine verrückte Situation. Lass uns wohin gehen, wo wir miteinander sprechen können.

Ellen: Alles ist besser als diese Spelunke!

Frank: Sag ich doch! (sie gehen) Ich habe seit Dienstag ständig über uns nachgedacht.

Ellen: Ich auch. Ich habe überlegt, was du wohl zu mir sagen wirst und ich zu dir. (Sie bleiben stehen)

Frank: Wir haben fast zwei Jahre gebraucht, bis wir uns unsere Liebe gestanden. Jetzt gehe ich fort, in drei Wochen... (nimmt sie in die Arme) aus deinem Leben hinaus. Ich liebe dich! Ich weiß nicht, wie lange ich dich schon liebe oder wann es anfing. Es war einfach da. Es ist Irrsinn, aber ich liebe dich!

Ellen (küsst ihn)

Frank: Ich will jetzt nicht Schluss machen.

Ellen: Was wollen wir tun?

Frank: Ich wüsst’ schon.

Ellen: Ich auch.

Frank: Morgen. Jetzt..., (schaut auf die Uhr) jetzt ist es einfach zu spät geworden dafür.

Ellen (küsst ihn)

Frank Dann also morgen.

Ellen: Schön.

Frank: Wo?

Ellen: Bei mir.

Master: Dankeschön. Das war aufschlussreich. Haben Sie sich danach dann noch oft gesehen?

Frank: So oft wir konnten.

Master: Hatten Sie während dieser Zeit morbide Gedanken?

Frank: Was meinen Sie damit?

Master: Dass das Leben nicht von Bedeutung sei, wenn Sie nicht beieinander sein können.

Frank: Ja, das stimmt. Bei verschiedenen Gelegenheiten hatte ich Todeswünsche für meine Frau und mehrere Male auch für mich.

Master: Und Ellen?

Ellen: Nein, ich nicht. Ich habe immer gedacht, dass ich zurechtkommen würde, es überleben würde.

Master: So etwas ist Ihnen wirklich nie in den Sinn gekommen?

Ellen: Ich habe nie etwas anderes gedacht, als die Dinge zu nehmen, wie sie sind, obwohl es mir ziemlich trostlos erschien.

Master: Sie dachten, es wird schon irgendeine Lösung geben?

Ellen: Nein, ich dachte, es wäre hoffnungslos. Er konnte seine Frau nicht verlassen.

Master: Sie hatten das Gefühl, er würde vielleicht mal mit Ihnen schlafen und sie dann verlassen.

Ellen: Ja

Master: Haben Sie je mit Frank über Ihre Gefühle gesprochen?

Ellen: Ich wollte, meine Gefühle wären tot.

Master: Wie meinen Sie das?

Ellen: Ich wollte nichts mehr wollen.

Master: Sie wollten nie mehr für einen Mann etwas übrig haben?

Ellen: Ich dachte, es wäre mir möglich weiterzuleben und mich nur noch um kleine Dinge zu bekümmern. Als Frank ging, glaubte ich, meine Welt wäre zusammengebrochen.

Master: Aber er hat Sie nicht verlassen.

Ellen: Das war das Neue, dass er mich nicht verließ. Er war der erste Mann, der das tat. Es bestand eine dauernde Anziehung zwischen uns über die körperliche Anwesenheit hinaus.

Master: Was ist es, das Menschen zueinander zieht, wenn sie sich lieben?

Ellen: Neugier.

Master: Körperliches Verlangen empfanden Sie nie?

Ellen (zögert)

Anna (aus dem Hintergrund): Ich!

Master: Ah, Anna, schön, dass Sie zurückgekommen sind. Bitte, treten Sie näher. Ich hätte gern, dass Sie vor der Pause noch eine Szene mit Ihrem Mann spielen. Ellen, danke schön, Sie können inzwischen wieder Platz nehmen. Ja, Anna, also, ihr Ausruf eben, ich find schon, der steht im Widerspruch zu dem, was uns Frank vorhin gesagt hat. Aber das gibt es in der Ehe. Der eine hat ganz andere Vorstellungen von der Sinnlichkeit der ehelichen Beziehung als der andere. Versuchen wir, dem Problem näher zu kommen. Ihr Mann hat hier erklärt, er sei unzufrieden gewesen mit Ihrer Unselbständigkeit. Hat er Ihnen das oft zum Vorwurf gemacht?

Frank: Ich protestiere!

Master: Entschuldigung, habe ich Sie nicht korrekt zitiert?

Frank: Das sagt man so dahin, und auf einmal wird es auf die Goldwaage gelegt.

Master: Wenn ich mich recht erinnere, hat Ihre Frau ursprünglich nicht gearbeitet. Geschah das auf Ihren Wunsch, oder wollte sie nicht arbeiten?

Frank: Sie hat für mich gearbeitet.

Master: Inwiefern?

Frank: Sie hat meine Manuskripte auf der Schreibmaschine geschrieben.

Master: Richtig, das sagten Sie schon. Und sie hat nie den Wunsch geäußert, einer geregelten Arbeit nachzugehen?

Frank: Da fragen Sie mich?

Master: Die Frage war mehr an Sie beide gerichtet. Stellen Sie uns doch bitte die Szene dar, in der Ihnen Ihre Frau mitteilte, dass sie künftig zu arbeiten gedenkt. Anna, erinnern Sie sich, wie ungefähr ging das vor sich?

Anna: Ich saß an der Schreibmaschine und schrieb für ihn. Es war sehr spät geworden an dem Tag, ich war müde.

Frank: Sie verstand nicht, dass der Artikel zum Termin fertig werden musste.

Master: Bitte, spielen Sie! (Anna nimmt Platz)

Anna: Wie viel Seiten noch?

Frank (zählt) Zwei, vier, sechs...

Anna: Ich muss erst einmal etwas trinken.

Frank: Es ist schon spät.

Anna: Eben, sonst schlafe ich ein. Weißt du, diese Arbeitsteilung in unserer Ehe, das kommt nicht hin auf die Dauer.

Frank: Wie soll ich das verstehen?

Anna: Hast du nicht selbst gesagt, ich sei zu unselbständig? Ich habe geglaubt, du wünschst, dass ich arbeiten gehe, Geld verdiene.

Frank: Unsinn! Du weißt genau, dass ich gerade das nicht gemeint habe. Ich wünsche eine ausgeglichene Frau zu Hause und keine von der Arbeit zermürbte und ausgezehrte.

Anna: Ist das dein Ernst?

Frank: Schau dich doch um, an der Universität, in den Instituten! Die Männer, die sich hocharbeiten konnten in der Wissenschaft, haben eine Frau zu Hause, die für sie sorgt. Glaubst du wirklich, ich schaffe jemals eine Professur, wenn ich auch noch anfange, abzuwaschen und die Hausordnung zu machen?

Anna: Du hast das Wäschewaschen vergessen, das Staubsaugen, das Einholen, das Fensterputzen und das Essenkochen.

Frank: Witzig.

Anna: Sobald wir in Berlin sind, werde ich als Lehrerin arbeiten.

Frank: Das wirst du bitte nicht.

Anna: Das werde ich schon.

Frank: Anna, ich habe immer geglaubt, es ist dir recht so.

Anna: Irgendetwas läuft nicht richtig mit uns.

Frank: Aber was denn?

Anna: Ich bin unselbständig. Du empfindest es und hast sogar recht. Bitte, lass mich jetzt reden. Ich bin im Grunde auf dich angewiesen. Wenn du mich eines Tages verlässt...

Frank: Anna!

Anna: ...muss ich ganz von vorn anfangen und stehe überhaupt nicht im Leben. Ich muss endlich arbeiten, verstehst du, sonst trockne ich ein.

Frank: Ich glaube nicht, dass das gut gehen würde. Ich jedenfalls brauche meine Ordnung zu Hause, mein seelisches Gleichgewicht, meinen seelischen und körperlichen Ausgleich, verstehst du. Ich muss mich bei dir ausspannen können, (nähert sich ihr) und da solltest du nicht abgespannt sein. Das ist doch auch in deinem Interesse.

Anna (entzieht sich): Das Manuskript!

Frank: Hat Zeit! (öffnet ihr Kleid)

Anna: Noch sechs Seiten!

Frank: Die sind danach auch noch da!

Master: Danke, danke! Wenn ich das recht verstehe, wurden ganz gewöhnliche Argumente ins Feld geführt. Waren sie überzeugend?

Anna: Sie nutzten sich ab. Seit wir in Berlin sind, arbeite ich als Lehrerin. Es macht mir Freude.

Master: Und Sie haben nichts dagegen unternommen?

Frank: Nein.

Master: Sie hofften im Stillen, sie werde sich von Ihnen trenne.

Frank: Das hoffte ich nicht. Ich liebe meine Frau.

Ellen (springt hoch)

Master (zu Ellen): Sie liebt er auch! Sie auch! (zum Publikum) Das ist sein Problem. Mir scheint, am angenehmsten wäre ihm, kämen wir hier zu der Meinung, es sei ganz normal, wenn ein Mann mit zwei Frauen lebt. Liebe zu dritt! Durchaus nicht neu, wie Sie wissen. Davon hat schon Goethe geträumt. So ein Liebesdreieck, vor aller Welt zugegeben, scheint mir noch immer besser als Lust ohne Liebe. Damit Sie verstehen, was ich meine. Hier (greift ins Jackett), habe ich mir herausgeschnitten. Hören Sie, was ein junger Koch neulich in einer Zeitung von sich gab. Wörtlich: „Warum soll man jeden Tag Pommes essen, wenn man auch Tortellini bekommen kann. Ich gehe fremd, weil es halt Spaß macht. In der Disko lernt man jeden Abend nette Mädchen kennen. Wer würde so etwas abschlagen? Das ist doch kein Verrat an der Liebe, damit hat doch Sex nichts zu tun. Meine Freundin darf auch machen, was sie will.“ Zitat Ende. Ein bisschen Rammelei hält dieser junge Mann für die Erfüllung seines Lebens. Oder hier, ein Student. Er sagte: „Ich selbst habe vier Freundinnen gleichzeitig laufen. Das ist doch normal. Ich lerne auf Partys viele Mädchen kennen. Soll ich sie etwa wegschicken? Sie wollen doch was von mir. Und schon ist es passiert. Ein bisschen flirten, ein paar Mal treffen ... gehört doch zum Leben dazu.“ Zitat Ende. Fazit: Sex ohne Liebe wird zum Ideal erkoren. Das heißt im Grunde, wenn moderne Literatur auch das Gegenteil behauptet, Rückentwicklung ins Tierreich. Davon, halten wir das einmal fest, sind unsere drei Kandidaten weit entfernt. Sie machen es sich schwer. Und das macht es auch uns schwer. Das Problem ist: Lust mit Liebe muss gekonnt sein. Das heißt: Wir sollten uns fragen, ob es nicht noch etwas Stärkeres gibt als Liebe. Doch ich greife vor. Ich finde, unsere drei Kandidaten haben eine Pause verdient. Ich beende die erste Sitzung. Aber laufen Sie bitte nicht davon, ich fürchte, ich werde Ihre Stimme für ein Publikumsvotum brauchen.

 

 

(Pause)